Einleitung

Wolfgang Schellenbacher

 

Die Online-Dokumenten-Edition „Von Wien ins Nirgendwo: Die Nisko-Deportationen 1939“ führt Dokumente aus unterschiedlichen Archiven zu den Transporten von fast 1600 jüdischen Männern aus Wien nach Nisko im Oktober 1939 zusammen.

Sie wurde in Kooperation mit der European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) auf der durch die Forschungsinfrastruktur errichteten Plattform für Online-Editionen erstellt. Dies ermöglicht auch eine Verknüpfung zu den Sammlungsbeschreibungen im EHRI Portal sowie eine Leseoption aller Dokumente über Landkarten. Die Online-Edition beinhaltet Dokumente zur Vorgeschichte der Transporte ebenso wie Dokumente zum Alltag und dem weiteren Schicksal der Deportierten.

Während das Hauptaugenmerk in der Forschung zur Nisko-Aktion lange darauf lag, die Transporte als erstes Versuchsprojekt für die späteren Massendeportationen der jüdischen Bevölkerung zu betrachten, liegt der Fokus dieser Dokumenten-Edition auf den seltenen Ego-Dokumenten der Deportierten: Als wichtigste Quelle diente dabei die Korrespondenz der Deportierten mit der Jüdischen Gemeinde in Wien, die sich heute im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Bestand Jerusalem wiederfinden.

Diese Briefe geben Einblick in die verzweifelte Lage und den „Alltag“ der Deportierten zwischen Herbst 1939 und März 1940 und verdeutlichen ihre Auseinandersetzungen mit der IKG Wien. Wie Andrea Löw herausstrich, deutete sich in diesen Briefen bereits der spätere Konflikt zwischen den jüdischen RepräsentantInnen und der „normalen“ jüdischen Bevölkerung in den Ghettos an. Zusätzlich zeigen Dokumente aus diesem Bestand zum Sammellager in der Gänsbachergasse die Geschichte des nicht abgegangenen dritten Nisko-Transportes, die Dieter Hecht in der Edition ebenso beschriebt wie den Alltag der Internierten.

Diese Materialien wurden um Beschreibungen der wenigen Überlebenden aus Opferfürsorgeakten ergänzt, die auf ihre Deportation, Vertreibung und Inhaftierung in Sowjetische Gulags eingehen. Diese Dokumente verdeutlichen auch die geringe Rolle, die die Stadt Nisko für die Deportierten und Vertriebenen der Wiener Nisko-Transporte spielten. Wie auch die automatisiert erstellten Karten in der Online-Edition zeigen, spielte der große Raum zwischen Nisko und der sowjetisch-deutschen Demarkationslinie, der als „Nirgendwo“ oder „Niemandsland“ wahrgenommen wurde, eine bedeutendere Rolle im Alltag der Deportierten.

Zusätzlich wurden Ego-Dokumente aus dem DÖW, den Arolsen Archives, dem United States Holocaust Memorial Museum bzw. dem Slowakischen Nationalarchiv hinzugefügt. Diese zeigen bislang unbekannte Versuche einzelner Deportierter, eine mögliche Ausreise in die Slowakei zu organisieren. Die Dokumente verweisen darüber hinaus auf ein bislang aus österreichischer Perspektive gänzlich unerforschtes Kapitel der Deportierten in Nisko: Sie zeigen, dass österreichische Flüchtlinge, die im Protektorat Böhmen und Mähren im Flüchtlingslager Eibenschütz (Ivančice) interniert waren, am 27. Oktober 1939 über Ostrava nach Nisko geschickt und dort vertrieben wurden. NS-Dokumente zur Organisation und zum Ablauf der Transporte wurden aus dem DÖW und dem Landesgericht Wien aufgenommen.

Die Online-Dokumenten-Edition „Von Wien ins Nirgendwo: Die Nisko-Deportationen 1939“ versteht sich als nicht abgeschlossenes Projekt, das kontinuierlich um neue Dokumente erweitert werden soll.