Wanderungsreferat Referent: Michael Kohn
Die Frage der ersten Unterkunft für die Heimkehrer ist bis heute noch nicht gelöst. Trotz aller Zusagen der leitenden Regierungsmitglieder und des Bürgermeisters mußte jedesmal von neuem das Wohnungsamt durch ausdrückliche Weisung des Bürgermeisters gezwungen werden, Hotelzimmer für die Neuankömmlinge in Beschlag zu nehmen. Immer wieder vertritt das Wohnungsamt fest die Ansicht, die jüdischen Heimkehrer könnten ganz ruhig in irgendwelchen Massenherbergen untergebracht werden. Wir konnten nicht verhindern, daß dies mit Heimkehrern aus Karaganda und einem Teil der Palästina-Heimkehrer des zweiten Transports geschah. Dies wäre eher erträglich, wenn es sich um eine Unterkunft für kurze Zeit handeln würde und die Zusagen aller verantwortlicher Instanzen, den heimkehrenden Naziopfern in erster Linie entsprechende Dauerwohnungen zuzuweisen, erfüllt würden. Dies geschieht aber nicht. Um jede Wohnung für einen Heimkehrer muß lange gekämpft werden, nicht nur gegen die jetzigen Besitzer, zum größten Teil Nazi und Ariseure, sondern gegen die passive Resistenz und zuweilen Feindseligkeit der kompetenten Faktoren. Ende März v.J. waren unvermutet 208 Juden aus Karaganda (Sowjetunion), die seinerzeit in die Baltischen Republiken bzw. in die Sowjetunion geflüchtet und nach Ausbruch des russischen Krieges in einem Lager Mittelasiens interniert worden waren, eingetroffen. Wir mußten es uns gefallen lassen, daß sie in einigen sehr schlechten Obdachlosenheimen der Gemeinde Wien untergebracht wurden. Erst nach mehreren Monaten fanden sie in der sogenannten Reitzes-Villa, XIX., Sieveringerstraße 245, Unterkunft. Später aus verschiedenen Ländern eintreffende Heimkehrer und ein Teil der im August gekommenen Palästina- und Schanghai-Transporte wurden im "Wiedner Spital", IV., Favoritenstraße 40, einer notdürftig adaptierten Massenherberge in Sälen mit 42 Betten - Männer, Frauen und Kinder -, einquartiert ... Die Beteiligung der bedürftigen Heimkehrer aus den bescheidenen Mitteln der Kultusgemeinde mit etwas Kleidung und Wäsche, mit Schuhe und Decken wurde veranlaßt, vollständige Bekleidung der Russlandheimkehrer (Nisko-Deportierte und Karaganda-Internierte) durch den American Joint durchgesetzt. Beim Hauptwirtschaftsamt der Stadt Wien setzten wir die Zuteilung von 300 Bezugsscheinen auf Schuhe und Strümpfe für unsere Russlandheimkehrer durch und errangen damit zum erstenmal eine Bevorzugung in der Kleiderversorgung für diese Gruppe, die auch eine bevorzugte Behandlung beim Gesundheitsreferat der Kultusgemeinde, im jüdischen Spital, in der Versorgung mit Medikamenten und besonderen Lebensmittelpaketen sowie bei Erholungsurlauben in Semriach genießt. Auch die Heimkehr aus der Sowjetunion hatte die Kultusgemeinde in die Wege geleitet. Im Sommer 1946 hatten wir die Bemühungen um die Heimkehr sämtlicher in die Sowjetunion geflüchteter Juden wieder aufgenommen. Wir hatten sowohl beim Bundesministerium für Äußeres wie bei der Vertretung der Sowjetmacht in Wien wiederholt und nachdrücklichst um Rücktransport unserer österreichischen Mitbürger gebeten. Es sind seither noch kleinere Gruppen aus Karaganda und Einzelpersonen aus den sogenannten Nisko-Transporten zurückgekommen. Allerdings befindet sich noch eine derzeit nicht bestimmbare Anzahl von geflohenen und deportierten österreichischen Juden in der Sowjetunion, und wir bemühen uns mit allen Kräften, möglichst rasch alle, die die schweren Kriegsjahre überlebten, nach Wien zu bringen. Wir glauben, daß diese Frage, nämlich die generelle Bewilligung der Rückkehr für sämtliche in der Sowjetunion lebenden Juden, in das Entscheidungsstadium getreten ist. Als Vorbedingungen für die Durchführung des Rücktransportes haben wir bei der Regierung den Aufbau eines umfassenden Suchdienstes angeregt, Listen der dort Befindlichen gesammelt und zur Verfügung gestellt. In den letzten Monaten hat sich in dankenswerter Weise die österreichische Vertretung in Moskau in den Dienst der Sache gestellt und gibt allen, die sie auffindet, oder die sich bei ihr melden, den Reisepaß und ist auch bereit, die Reisekosten zu bezahlen. In diesem Punkte wenigstens haben wir den ursprünglichen Widerstand unserer Behörden überwunden.