insert_drive_file
Text from page1

Sehr geehrter Herr Doktor!

Mein Name als jüdischer Leiter des hiesigen Lagers ist Ihnen vielleicht aus den mündlichen Berichten gemeinsamer Bekannter, sowie aus zahlreichen, leider unbeantworteten Briefen an die K.G. bekannt. Heute erlaube ich mir, mich persönlich an Sie in folgender Angelegenheit zu wenden:

Durch die Tätigkeit der Heimatgemeinde der Mehrzahl der hier befindlichen Leute, der Israelitischen Kultusgemeinde in Mähr. Ostrau und auf Grund der von hier aus direkt eingeleiteten Schritte scheint die Sache der Auswanderung der im Lager Zarcecze der Zentralstelle für jüdische Umsiedlung in Nisko, sowie der in den umliegenden Orten befindlichen und aus dem Protektorat, Wien, Olsagebiet etz. stammenden Juden in ein aktuelles Stadium getreten zu sein. Während sich Mähr. Ostrau durch Entsendung von 3 Delegierten nach Bratislava und 2 Herren nach Prag (Verhandlung über finanzielle Fragen) um eine kollektive Einreise in die Slovakei für uns bemüht, haben wir durch 2 unserer Herren, die seitens des Lagerkommandos die Erlaubnis erhielten nach Krakau zu reisen, dort beim General-Gouvernement u.z. bei Herrn Landesgerichtsrat Noetzold festgestellt, dass seitens des General-Gouvernements Einwendungen gegen die individuelle oder kollektive Ausreise der eingangs erwähnten Juden nicht erhoben werden, wenn gewisse Formalitäten erledigt und die Einreisevisa in ein anderes Land vorliegen.

Die Isr. Kultusgemeinde Mähr. Ostrau kann sich u.E. für die Einreisebewilligung in die Slowakei nur für Protektoratsbürger bemühen und zwar schon aus devisentechnischen Gründen, weil es sich doch um eine Finanzierung des Aufenthaltes in der Slowakei handeln wird und die slowakische Regierung - wie wir erfahren - die Garantie für die Aufbringung gewisser Geldmittel fordert. Von der K.G. Wien haben wir - wie oben erwähnt - bis jetzt auf unsere diesbezüglichen konkreten Anfragen keine Antwort erhalten; da die Sache aber dringend geworden ist, möchte ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, doch bitten zu veranlassen, dass von der K.G. direkt, wenn dies aber nicht angängig ist, von anderer Seite uns gesagt wird, was unsere lieben Wiener Kameraden von Wien zu erwarten haben.

Sollte oder könnte die K.G. Wien nicht in der Lage sein etwas zu tun, wäre es meines Erachtens - ich bin allerdings 4 Monate hier und daher über das was inzwischen in Wien geschehen oder verfügt wurde, nicht informiert - leicht möglich, dass die Aktion, die von Ostrau geführt wird, für Wien einer internationalen jüdischen Organisation Organisation überlassen wird. Eine Antwort wollen Sie freundl. an meinen Nachfolger in der jüdischen Lagerleitung, Herrn Baumeister Otto Bellak richten, da ich über Verfügung des Polizei-Präsidiums Krakau aus dem Lager entlassen wurde und Mitte nächster Woche nach Uebergabe meines Dienstes an denselben nach Krakau reise.

Ich zeichne mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

Eisler m.p.

insert_drive_file
Text from page2

Herrn Julius Boschan, Wien

Sollte es der KG oder Dr. Löwenherz nicht möglich sein, darauf zu antworten, so bitte ich Sie, mir bezw. Herrn Baumeister Bellak klaren Bescheid zu geben.

Ich hörte mit tiefem Bedauern, dass Sie sehr krank waren, jedoch bereits auf dem Wege der Besserung sind. Ich hoffe, dass Sie sich rasch erholen und zu Ihrer Arbeit, die ja leider nichts weniger als erfreulich ist, zurückkehren werden.

Sie ersehen aus dem Brief an Dr. Löwenherz, dass ich in den nächsten Tagen das Lager verlasse, nach Krakau fahre, um von dort aus meine Weiterreise nach Schweden zu betreiben, wo ich mit meiner Familie zusammentreffen will.

Ich erinnere mich daran wie Sie - obwohl es in die Heimat ging - nicht leicht von uns Abschied genommen haben, und Sie können es daher wohl verstehen, dass ich auch von hier schweren Herzens scheide, weil ich fürs Leben gerne mit meinen Kameraden gegangen wäre. Dass es den aus Ostrau resp. dem Protektorat stammenden Leuten gelingen wird, in absehbarer Zeit das General-Gouvernement zu verlassen, ist meine feste Ueberzeugung. Es wäre mir eine grosse Beruhigung, wenn ich das gleiche von den lieben Wiener Kameraden glauben könnte und dazu erbitte ich Ihre freundschaftliche Hilfe.

Vielleicht führt uns ein freundliches Schicksal noch einmal in glücklicheren Verhältnissen zusammen; trotz unseres kurzen Zusammenwirkens werde ich an die Zeit unseres gemeinsamen Aufenthaltes in Zarzecze nicht vergessen.

Ihr sehr ergebener

Eisler m.p.